Zum Inhalt springenZur Suche springen

Bericht zur 3. Jahrestagung des Instituts für Insolvenz- und Sanierungsrecht (ISR) an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf

Am Freitag, den 07. Oktober 2016, fand an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf die dritte Jahrestagung des Instituts für Insolvenz- und Sanierungsrecht (ISR) und der Düsseldorfer Vereinigung für Insolvenz und Sanierungsrecht e.V. statt. Das Thema der Veranstaltung war die Unternehmensübernahme qua Insolvenzplan, wobei im Zentrum insbesondere das Spannungsverhältnis zwischen Insolvenz- und Gesellschaftsrecht stand.

Den Auftakt der Veranstaltung bildet eine umfangreiche Fallstudie zum Einsatz eines Kapitalschnitts als Sanierungsmaßnahme im Planverfahren, die von Dr. Franz Aleth und Prof. Dr. Christoph H. Seibt, LL.M. (Yale), beide Freshfields Bruckhaus Deringer, präsentiert und von RiAG Angela Fischer (AG Düsseldorf) aus Perspektive des Insolvenzgerichts kommentiert wurde. Gegenstand des Vortrags war die Sanierung der Pfleiderer AG („PAG“), die im Insolvenzplanverfahren durchgeführt wurde, nachdem außergerichtliche Sanierungsbemühungen gescheitert waren. Angela Fischer berichtete, dass im Eröffnungsverfahren in rechtlicher Hinsicht aufgrund einer parallel durchgeführten Sitzverlegung insbesondere die Prüfung der örtlichen Zuständigkeit Probleme bereitete. Im Fall Pfleiderer sah der Insolvenzplan als zentrale gesellschaftsrechtliche Sanierungsmaßnahme einen Kapitalschnitt vor. Hierbei sollte das zunächst auf Null herabgesetzte Grundkapital durch eine Barkapitalerhöhung sowie im Rahmen einer Sachkapitalerhöhung durch Einbringung einer Forderung (Debt Equity Swap) wieder aufgefüllt werden. Als Inferent war jeweils exklusiv ein von der Mehrheit der Gläubiger befürworteter Investor zugelassen; das Bezugsrecht der Aktionäre wurde ausgeschlossen. Dr. Aleth betonte, dass neben der rechtlichen regelmäßig auch eine operative Sanierung der schuldnerischen Gesellschaft erforderlich sei, um eine nachhaltige Beseitigung der wirtschaftlichen Schieflage sicherzustellen. Der neuralgische Punkt dieser Plangestaltung war die umstrittene Frage, ob die Kombination einer Kapitalherabsetzung auf Null und eines Ausschlusses des Bezugsrechts für die Altaktionäre rechtlich ohne weiteres möglich ist. Prof. Dr. Seibt erläuterte, dass dies der Fall sei, und schloss sich damit der im Insolvenzrecht herrschenden Auffassung an. Auch die Zahlung einer Abfindung an die Altgesellschafter sei regelmäßig entbehrlich. Kontrovers diskutiert wurde die Frage der Kompetenz des Registergerichts bei der Umsetzung gesellschaftsrechtlicher Maßnahmen im Rahmen des Insolvenzplanverfahrens. Während Angela Fischer sich für eine vollumfängliche materiellrechtliche Prüfung der gesellschaftsrechtlichen Maßnahme durch das Registergericht aussprach, wurde aus dem Plenum insbesondere unter Hinweis auf die materielle Rechtskraft der insolvenzgerichtlichen Bestätigungsentscheidung, vertreten, dass dem Registergericht lediglich eine quasi beurkundende Funktion zukomme. Für die Praxis wies Dr. Aleth darauf hin, dass allein aufgrund dieser rechtlichen Unklarheit stets eine frühzeitige Einbindung des Registergerichts erforderlich sei. Abschließend erläuterte Prof. Dr. Seibt, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht eo ipso zum Wegfall der Börsenzulassung führe und daher zunächst auch die kapitalmarkt- und übernahmerechtlichen Pflichten, namentlich die Finanzberichts- und die Ad-hoc-Publizitätspflichten, weiterhin uneingeschränkt Anwendung finden. Deutliche Kritik äußerte er insbesondere wegen der Fortgeltung der Finanzberichtspflichten nach dem WpHG. Er warf er dem Gesetzgeber in diesem Zusammenhang ein Unterlassen und de BaFin im Falle der Bebußung einen Verstoß gegen den Rechtsgrundsatz „impossibilium nulla est obligatio“ vor.

Der steuerrechtlichen Perspektiven eines Debt-Equity-Swaps im Insolvenzplanverfahren widmete sich sodann Dr. Jens Hageböke, Flick Gocke Schaumburg, der in seinem Vortrag auf aktuelle, praxisrelevante Fragen hinsichtlich des sog. Sanierungserlasses einging. Er legte einleitend dar, dass die Nichtbesteuerung von sog. Sanierungsgewinnen eine lange Tradition habe, hierfür jedoch seit der Abschaffung des § 3 Nr. 66 EStG im Jahr 1997 eine ausdrückliche gesetzliche Regelung fehle. Für die Praxis wurde durch den sog. Sanierungserlass Klarheit geschaffen, der von den Finanzverwaltungen auch im Insolvenzplanverfahren angewendet werde. Dr. Hageböke empfahl eindringlich, im Rahmen von Sanierungsvorhaben möglichst frühzeitig die zuständigen Finanzverwaltungen und Gemeinden miteinzubeziehen und die Erteilung einer verbindlichen Auskunft über die Anwendung des Sanierungserlasses zu beantragen. Anlässlich eines Vorlagebeschlusses des X. Senats des BFH an den Großen Senat untersuchte der Referent, ob der Sanierungserlass rechtmäßig ist und daher auch zukünftig weiterhin Anwendung finden kann. Er ging übereinstimmend mit dem X. Senat davon aus, dass der Sanierungserlass weder den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung noch das unionsrechtliche Beihilfenverbot verletze. Zum Abschluss seines Vortrags ging Dr. Hageböke auf die Frage ein, wer über die Anwendbarkeit des Sanierungserlasses bei der Gewerbesteuer entscheidet. Nach seiner Ansicht sind hierfür entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung ausschließlich die Finanzämter und nicht die Gemeinden zuständig. 

Das Nachmittagsprogramm wurde von Dr. Christian Brünkmans LL.M., Flick Gocke Schaumburg, eröffnet. Er stellte Gestaltungsoptionen zur Realisierung einer Unternehmensübernahme im Insolvenzplanverfahren vor, die neben dem Debt Equity Swap in Betracht kämen. Er erläuterte, dass seit Inkrafttreten des ESUG im März 2012 die Anteils- und Mitgliedschaftsrechte in den Insolvenzplan einbezogen werden (§§ 217, 225a InsO) und daher im Rahmen des Obstruktionsverbots nach § 245 InsO auch gegen Willen der Anteilsinhaber gesellschaftsrechtliche Maßnahmen durchgeführt werden können. Grenzen der zulässigen und durchführbaren Plangestaltungen ergäben sich aus § 225a InsO, dem Verfahrenszweck sowie den §§ 245, 251 InsO. Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht sei im Insolvenzverfahren nicht zu beachten; allerdings könne ihr im Vorfeld der Insolvenz Bedeutung zukommen. Die durch das ESUG neu geschaffenen Einsatzmöglichkeiten von gesellschaftsrechtlichen Planregelungen wurden sodann anhand zweier Praxisfälle exemplifiziert. Dr. Brünkmans stellte die Möglichkeit eines Investoreneinstiegs durch eine Kombination von Kapitalherabsetzung auf Null und anschließender Barkapitalerhöhung vor und erläuterte anschließend, wie Umwandlungsmaßnahmen nach dem Umwandlungsgesetz im Planverfahren zur Sanierung genutzt werden können.

Es folgte ein Vortrag von Prof. Dr. Hans-Friedrich Müller LL.M., Universität Trier, zu Rechtsprobleme des Bezugsrechtsausschlusses bei Kapitalmaßnahmen im Insolvenzplanverfahren. Prof. Müller widmete sich eingangs der Frage nach der Europarechtskonformität der durch das ESUG geschaffenen Möglichkeit zur Aufnahme von Kapitalerhöhungen in den Insolvenzplan. Er äußerte angesichts der Rechtsprechung des EuGH Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit mit Art. 29 der Kapitalrichtlinie. Unter Verweis auf den Wortlaut des § 225a Abs. 2 InsO stellte er fest, dass auch bei Kapitalerhöhungen im Planverfahren grundsätzlich ein Bezugsrecht der Anteilsinhaber bestehe, und ging anschließend der Frage nach, ob dieses ohne das Vorliegen eines sachlichen Grundes ausgeschlossen werden könne. Er kam zu dem Ergebnis, dass die Altgesellschafter grundsätzlich die Möglichkeit haben müssten, durch eigene Sanierungsbeiträge ihre Beteiligung zu erhalten, sofern keine sachlichen Gründe für einen Bezugsrechtsausschluss sprechen und der dieser verhältnismäßig ist. Hinsichtlich der konkreten Anforderungen an die Verhältnismäßigkeitsprüfung erläuterte Prof. Müller, dass bei einer Sachkapitalerhöhung, namentlich bei einem Debt Equity Swap, ein Bezugsrechtsausschluss regelmäßig als angemessen zu bewerten sei. Allerdings sei unter Umständen zu prüfen, ob nicht parallel eine Barkapitalerhöhung durchgeführt werden müsse, um den Anteilsinhabern einen Erhalt ihrer Beteiligungen zu ermöglichen. Bezüglich des gebotenen Umfangs des einzuräumenden Bezugsrechts schlug der Referent eine Orientierung am bisherigen statutarischen Kapital vor. Bei der Feststellung eines sachlichen Grundes zum Ausschluss des Bezugsrechts könne bei Barkapitalerhöhungen auf die gesetzliche Wertung des Squeeze Outs zurückgegriffen werden, sodass ein Ausschluss jedenfalls dann zulässig sei, wenn der Inverstor 95 % an dem neuen Unternehmen halten würde. 

Die Stellung der Anteilsinhaber im Planverfahren war auch Gegenstand des letzten Vortrags des Tages. Prof. Dr. Moritz Brinkmann LL.M., Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, referierte zu dem Thema „Die Gesellschafter im Insolvenzplanverfahren – Teil des Problems oder Teil der Lösung?“, wobei ein Schwerpunkt auf der verfahrensrechtlichen Stellung der Anteilsinhaber lag. Er erläuterte, dass Distressed Debt-Investoren das deutsche Insolvenzrecht als das attraktivste in Europa wahrnehmen würden, da es seit dem durch das ESUG eingetretenen Paradigmenwechsel nunmehr im Planverfahren grundsätzlich eine „feindliche“ Übernahme im wörtlichen Sinne, also gegen den Willen der Anteilsinhaber, ermögliche. Der Referent bemängelte, dass, obwohl häufig bereits die Stellung und die Zulassung eines Antrags auf Verfahrenseröffnung eine vorentscheidende Wirkung für die Eröffnungsentscheidung habe, die InsO den Anteilsinhabern keinen förmlichen Rechtsbehelf an die Hand gebe, um sich gegen missbräuchliche Fremdanträge zu wehren. Zur Beseitigung dieses bedenklichen Rechtschutzdefizits schlug er eine Zulassung des vorläufigen Rechtsschutzes (§ 935 ZPO) gegen die Stellung missbräuchlicher Anträge vor. Ein positiver Kompetenzkonflikt zwischen dem Gericht des vorläufigen Rechtsschutzes und dem Insolvenzgericht bestehe seiner Auffassung nach nicht, da divergierende Entscheidungen nicht möglich seien. Prof. Brinkmann konstatierte, dass der schuldnerischen Gesellschaft sowie deren Anteilsinhabern im Eröffnungs- und im Insolvenzverfahren nur wenige effektive Verteidigungsmittel zur Abwehr einer Unternehmensübernahme zur Verfügung stünden. Er forderte, de lege ferenda bei schweren Verfahrensverstößen auf die Glaubhaftmachung einer Schlechterstellung als Zulässigkeitsvoraussetzung einer Beschwerde (§ 253 InsO) zu verzichten. Danach ging er auf das Schutzkonzept der InsO zur Abwehr von Vermögensvorteilen ein. In seinem Resümee bemängelte Prof. Brinkmann, dass Altgesellschafter angesichts ihrer schwachen Rechtsstellung im Rahmen des Planverfahrens Krisensignale rechtzeitig erkennen und frühzeitig darauf reagieren müssten, ihnen hierzu allerdings de lege lata nur Instrumente mit nur begrenzter Effektivität zur Verfügung stünden. Hier könne ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren dazu beitragen, einen angemessenen Ausgleich zwischen Gesellschafter- und Investoreninteressen zu schaffen. 

In der abschließenden Podiumsdiskussion unter Leitung von Burkhard Jung (hww Unternehmensberater) hatten die Referenten Gelegenheit, ihre bisherigen praktischen Erfahrungen mit dem ESUG abschließend zu bewerten. Die Gefahr eines vermehrten Auftretens von Insolvenzplänen, die kein nachhaltiges Sanierungskonzept beinhalten und welche von Jung anschaulich als „Zombiepläne“ bezeichnet wurden, sahen die Referenten nicht. Dies sei eher ein Phänomen, welches im Rahmen außergerichtlicher Sanierungen beobachtet werden könne. Diskutiert wurde auch über die Eignung des Planverfahrens für „kleinere Verfahren“. Diese wurde überwiegend im Grundsatz bejaht, allerdings zugleich darauf hingewiesen, dass es sich um ein kostenintensives und komplexes Instrument handele und daher stets sorgsam abgewogen werden müsse, ob nicht eine übertragende Sanierung sinnvoller sei. De lege ferenda „wünschten“ sich die Referenten eine Reformierung des Rechtschutzmodells des SchVG (Prof. Seibt) und ein sanierungsfreundlicheres Gesellschaftsrecht (Prof. Müller). Zur Verbesserung der Verfahrensabwicklung wurde eine stärkere Konzentration der Insolvenzgerichte (Fischer) sowie die Etablierung eines Gruppengerichtsstands (Dr. Brünkmans) gefordert.

Ein ausführlicher Tagungsbericht ist in der ZInsO veröffentlicht: ZInsO 2016, 2240 - 2247.

Die Präsentationen der Referenten können unter folgenden Links heruntergeladen werden:

Verantwortlichkeit: