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Bericht zum 8. Abendsymposium des ISR

Am 29.06.2016 fand im Haus der Universität Düsseldorf das achte Abendsymposium des Institut für Insolvenz- und Sanierungsrecht und der Düsseldorfer Vereinigung für Insolvenz- und Sanierungsrecht e.V. statt. Ca. 80 Teilnehmer verfolgten mit großem Interesse die Vorträge von Prof. Dr. Lutz Strohn (Richter am Bundesgerichtshof, Stv. Vorsitzender des II. Zivilsenats, Karlsruhe) und Prof. Dr. Matthias Casper (Institut für Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, Westfälische Wilhelm-Universität Münster) zur Organhaftung für Leistungen nach Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft (§§ 64 GmbHG, 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG, 130a, 177a HGB, ebenso § 34 Abs. 3 Nr. 4 GenG).

Als erster Referent des Abends erläuterte Prof. Dr. Strohn die neuere Rechtsprechung des II. Zivilsenats zu § 64 GmbHG. Zunächst stellte er § 64 GmbHG sowie die Haftung wegen Insolvenzverschleppung nach § 823 II BGB i.V.m. § 15a InsO gegenüber. Entgegen dem EuGH (C-594/14) betonte Strohn, dass es sich bei § 64 GmbHG gerade nicht um eine Norm mit dem Zweck der Sanktionierung einer Insolvenzverschleppung handele. Zweck sei vielmehr, Masseverkürzungen zu verhindern und das Vermögen möglichst wieder aufzufüllen. Anschließend ging der Referent der Rechtsprechungsentwicklung zu § 64 GmbHG nach. Ausgangspunkt sei die „herkömmliche Rechtsprechung“, in der der Ansatzpunkt der Einzelbetrachtung der Zahlungen entwickelt wurde, bei der jede Zahlung getrennt und ohne Beachtung der Gesamtvermögenslage beurteilt werde, wobei Strohn konstatierte, dass die Masse bei strikter Anwendung dieser Regel bereichert werden könne. Es folgte ein Überblick über die Fallgruppen, in denen der II. Senat, durchaus auf der Grundlage der Einzelfallbetrachtung, mit unterschiedlichen argumentativen Ansätzen die Haftung des Organs nach § 64 verneinte. Abschließend stellte Strohn die Gegenausnahmen dar, also Fallkonstellationen, in denen die eingeschränkte Haftung des Organs zu verneinen ist. Dass eine Unternehmensfortführung im Insolvenzstadium angesichts dieser Gegenausnahmen mit erheblichen Haftungsrisiken verbunden ist, stelle einen bloßen Reflex des § 64 GmbHG dar, eine Korrektur im Einzelfall sei nach § 64 S .2 GmbHG möglich. Abschließend betonte Strohn, dass bei Insolvenzreife der Gesellschaft eine Entscheidung über die Unternehmensfortführung letztendlich dem Insolvenzverfahren vorbehalten bleibe, wohingegen es die Aufgabe des Organs sei, einen erforderlichen Insolvenzantrag zu stellen.

Es folgte der Vortrag von Prof. Dr. Matthias Casper, der Praktikabilität und Reichweite der Rechtsprechung zu masseschmälernden Zahlungen nach § 64 S.1 GmbHG kritisch analysierte. Im Zentrum seiner Überlegungen standen zwei grundlegende Entscheidungen, das Urteil vom 18.11.2014 - II ZR 231/13 (ZIP 2015, 71) sowie das Urteil vom 23.06.2015 – II ZR 366/13 (ZIP 2015, 1480).

Bezogen auf die erste dieser beiden Entscheidungen ging Casper der Frage nach, inwieweit das Erfordernis eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen dem Tausch von zwei Aktivposten präzisiert wurde. Die konkreten Kriterien, an denen die Praxis sich orientieren soll, erscheinen ihm weiterhin vage. Wesentlich sei allerdings die Weichenstellung, dass die Haftung auch dann verneint werden könne, wenn der Massezufluss bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr vorhanden ist. Casper verstand diese Wende in der Rspr. als eine Annäherung an die Gesamtbetrachtungslehre. Die Vermeidung von Zufallsgeschenken für die Masse sei grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings betonte Casper, dass die Orientierung an den Kriterien, die der Bundesgerichtshof entwickelt hat, den Arbeitsaufwand für den Insolvenzverwalter erheblich erhöhe und eine Anspruchsverfolgung deutlich erschwert sei. Nicht erfasst werde eine Masseschmälerung durch den ersatzlosen Untergang der Sache (was in Fällen des zufälligen oder unverschuldeten Untergangs nur konsequent sei). Ausgehend von der zweiten Entscheidung, wonach der Einzug einer Forderung auf ein debitorisches Konto zwar nach wie vor grundsätzlich die Haftung nach § 64 GmbHG auslösen soll, allerdings dann nicht, wenn die kontoführende Bank an der einzubeziehenden Forderung ein Absonderungsrecht hatte, analysierte Casper die Kriterien zur Auslegung des § 64 GmbHG als ein Geflecht von Ausnahmen, Gegenausnahmen sowie Gegenausnahmen zur Gegenausnahme. Er bemängelte Abgrenzungsprobleme und mangelnde Durchschaubarkeit, hielt die Ausnahmen aber vom Ansatz des II. Senats aus betrachtet für größtenteils konsequent. Der Vortrag mündete in eine kritische Gesamtbewertung angesichts der „unnötigen Komplexität“ bei der Handhabung des § 64 GmbHG. Casper plädierte stattdessen für eine Abschaffung der Vorschrift zugunsten einer verschärften, allein auf den Quotenverschlechterungsschaden gerichteten Insolvenzverschleppungshaftung nach §§ 823 II BGB, 15a InsO.

An den Vortrag schloss sich eine rege Diskussion an, in der Vertreter der Praxis zu Wort kamen. Insbesondere wurde das System von Ausnahmen und Gegenausnahmen kritisiert. Auch die Frage, wie die Gegenleistung speziell im Falle von Miete und Leasing zu bewerten sei, bereite Probleme. In der Praxis ergäbe sich ein relativ hohes Prozessrisiko, festzustellen sei ein vermehrter Abschluss von Vergleichen. Ein Fazit aus dem Publikum: Das Anfechtungsrecht des Insolvenzverwalters werde immer bedeutsamer.

Die Präsentationen der Referenten können unter folgenden Links heruntergeladen werden:

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