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Bericht zur 4. Jahrestagung des Instituts für Insolvenz- und Sanierungsrecht (ISR) im Haus der Universität Düsseldorf

Am Freitag, den 29. September 2017, fand die diesjährige Jahrestagung des Instituts für Insolvenz- und Sanierungsrecht (ISR) im Haus der Universität unter der Überschrift „Gerichtsstandort Deutschland in Insolvenz- und Sanierungssachen – Stärken, Schwächen, Chancen, Risiken“ statt. Die Veranstaltung widmete sich dabei zwei rechtspolitischen Themen. Im ersten Teil ging es um die Vorauswahl und Bestellung der Verwalter. Im Fokus stand vor allem die Frage, ob die Einführung einer bundesweit geführten, digitalen Vorauswahlliste sinnvoll wäre. Im zweiten Teil wurde thematisiert, ob weitere Konzentrationen und Spezialisierungen der Gerichte erforderlich wären, um den Anforderungen gerecht zu werden, die an bei der Behandlung von Insolvenzsachen und insolvenznahen Verfahren an die Gerichte gestellt werden.

Dr. Daniela Brückner, Richterin am AG Berlin-Charlottenburg, referierte zu dem Thema „Datenbankbasierte Auswahl von Insolvenzverwalterinnen und Insolvenzverwaltern – Erste Erfahrungen mit der qualifizierten Vorauswahlliste in Berlin“. Sie berichtete von der am AG Berlin-Charlottenburg geführten digitalen Verwalterauswahlliste, welche den Kriterien der jüngsten Rechtsprechung des BGH vom März 20161 gerecht würden. Diese Liste umfasse eine detaillierte Datenbank, mit deren Unterstützung eine zügige und sachgerechte Auswahlentscheidung seitens des Richters getroffen werden könne. Die qualifizierte Vorauswahlliste werde mittels Daten aus drei unterschiedlichen Gruppen erststellt. Die erste Gruppe befasse sich mit der Ausbildung und Qualifikation des Bewerbers, die zweite Gruppe beinhalte gewisse Erfolgskriterien, wie etwa Quote, Massegenerierung und zeitliche Bewältigung vorheriger Verfahren, die dritte Gruppe sog. weiche Kriterien. Die von den Bewerbern angegebenen Daten würden von den Richtern des AG Charlottenburg gemeinsam überprüft. Aufgrund der ermittelten Daten werde ein Vergleich zu den anderen Verwaltern gezogen und ein entsprechender Durchschnittswert ermittelt. Anschließend werde jedem Bewerber mitgeteilt, welche Punktzahl er im Verfahren erreicht habe und ob er über oder unter dem Durchschnitt liege. Frau Dr. Brückner stellte klar, dass die Liste nur als Entscheidungshilfe diene, jedoch keine verbindliche Selbstverpflichtung für die Richter darstelle und es somit im freien richterlichen Ermessen läge, welcher Verwalter letztlich für das Verfahren ausgewählt werde. Trotz des zunächst damit verbundenen Aufwands bei der Erstellung zog Frau Dr. Brückner insgesamt eine positive Bilanz bzgl. der entwickelten Liste als Entscheidungshilfe.

Anschließend erläuterte Rechtsanwalt Dr. Stephan Riel, Insolvenzverwalter in Wien, die Verwalterauswahl in Österreich und zog einen Vergleich zum deutschen Recht. Entscheidender Unterschied sei im Hinblick auf die Verwaltertätigkeit das Organisationsmodell der sog. „doppelten Unabhängigkeit“, bei dem der unabhängige Insolvenzrichter sämtliche Organe des Insolvenzverfahrens, d.h. sowohl Insolvenzverwalter als auch Gläubigerausschuss, bestimme. Eine Einflussnahme der Gläubiger auf die Verwalterauswahl sei damit vom System völlig ausgeschlossen. Es gebe jedoch institutionelle Gläubigervertretungen, welche die Arbeit der Insolvenzverwalter bewerteten und somit indirekt die Interessen der Gläubiger mit einfließen ließen. Zudem sei das Unternehmensinsolvenzrecht eine absolute Spezialmaterie, die Spezialkammern an den Landesgerichten vorbehalten sei. Ein weiterer Unterschied bestehe darin, dass die Richter jedes Verfahren vom Anfang bis zum Ende selbst begleiteten. Eine Aufteilung der funktionalen Zuständigkeiten in einem Verfahren findet also nicht statt. Insgesamt stellte Dr. Riel fest, dass es in Österreich praktisch keine Auseinandersetzungen hinsichtlich der Verwalterauswahl gebe.

Praxedis Möhring, Mitglied des IX. Senats des Bundesgerichtshofs, referierte zu dem Thema: „Digital gestützte Verwalterauswahl – ein Zukunftsmodell?“. Sie ging zunächst darauf ein, dass das BVerfG in zwei Urteilen2 ein Vorauswahlverfahren angemahnt habe, das insbesondere eine Klagemöglichkeit für nichtberücksichtigte Verwalter vorsehe. Allerdings gebe es, ähnlich wie in Österreich, gegen die konkrete Auswahlentscheidung, also die Bestellung, kein Rechtmittel, sondern es bestehe lediglich die Möglichkeit einer Staatshaftungs- bzw. Amtshaftungsklage. Aus Sicht von Frau Möhring wäre die Einführung einer bundesweiten Vorauswahlliste sinnvoll. Dadurch müsse nicht jedes Gericht den großen Aufwand bzgl. der Erstellung und Pflege einer Liste betreiben. Die Insolvenzverwalter hätten sich einem einheitlichen Listenverfahren zu unterziehen. Geklärt werden müsse aber die Frage nach den konkreten Voraussetzungen für eine Aufnahme in die Liste. Die allgemein konsensfähigen Kriterien wie hinreichende Sachkenntnisse oder technische und personelle Ressourcen seien zu allgemein gehalten, als dass sie für einen praktikablen Anforderungskatalog taugten. Durchaus aufgeschlossen zeigte sich Frau Möhring gegenüber der Idee, die Bestellung des Insolvenzverwalters von einer Prüfung, ähnlich der Wirtschaftsprüfer- oder Steuerberaterprüfung, abhängig zu machen. Ferner sei eine Unterscheidung der Bewerber für Unternehmens- oder Verbraucherinsolvenzverfahren notwendig. Ziel müsse es sein, dass der Richter in einer Suchmaske bestimmte Kriterien eingeben könne, die dann zu einer überschaubaren Liste an Verwaltern führe. Abschließend kam Frau Möhring zu dem Ergebnis, dass eine bundesweite Vorauswahlliste zu mehr Transparenz führen könne, jedoch die konkrete Auswahlentscheidung eine Ermessensentscheidung des Richters bleibe.

Überleitend zum zweiten Teil untersuchte sodann Heribert Grothues, Rechtspfleger am AG Arnsberg, mögliche Defizite in der Verfahrensstruktur und der Justizorganisation aus der Perspektive eines in Insolvenzsachen tätigen Rechtspflegers. Er stellte fest, dass die Rechtspfleger zwar einerseits eine tragende Säule des Insolvenzverfahrens seien, andererseits hingegen keinerlei Einfluss auf die Verwalterauswahl hätten. Außerdem kritisierte Herr Grothues, dass die Rechtspfleger nicht hinreichend fortgebildet würden, um in Insolvenzsachen tätig zu werden. Zudem sei ein längerfristiger Einsatz der Rechtspfleger für Insolvenzsachen sinnvoll, um gewisse Erfahrung und Kompetenzen zu kumulieren. Ein Sonderstudiengang zum Insolvenzrechtspfleger sei zwar ein Lösungsansatz, würde aber aufgrund des mangelnden wirtschaftlichen Anreizes wahrscheinlich auf keine große Resonanz stoßen.

Der zweite Teil war dem Thema „Qualifikation der Gerichte in Insolvenz- und Sanierungssachen“ gewidmet. Marie-Luise Graf-Schlicker, die Leiterin des Referats Rechtspflege im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, eröffnete diesen Teil mit dem Vortrag: „Gerichtsstandort Deutschland in Insolvenz- und Sanierungssachen – Pläne und Perspektiven“. Frau Graf-Schlicker merkte zunächst an, dass Großinsolvenzen zwar auf ein erhebliches mediales Interesse stoßen, gerade die Arbeit des Insolvenzgerichts aber ungeachtet der entscheidenden Rolle des Insolvenzgerichts für das Verfahren zumeist unbeachtet bliebe. Vor dem Hintergrund der immensen Aufgabenfülle, die Insolvenzgerichte zu bewältigen hätten, stelle sich die Frage, welche qualitativen Anforderungen an das Gericht zu stellen seien. Die reine Kenntnis des Insolvenzrechts reiche keinesfalls aus. Vielmehr benötige der Insolvenzrichter auch fundierte Fähigkeiten im Arbeits-, Handels-, Gesellschafts- und Bilanzrecht sowie in der Rechnungslegung. Kenntnisse, die dem Juristen in seiner Ausbildung regelmäßig nicht vermittelt werden. Erstmals mit der Einführung des ESUG habe der Gesetzgeber in § 22 Abs. 6 S.2 GVG Qualitätsanforderungen für Richter niedergeschrieben und in § 2 InsO die Konzentration der Insolvenzgerichte vorangetrieben. Jedoch habe § 2Abs. 2 InsO dazu geführt, dass viele Länder mit dem Argument der Bürgernähe die alte Zuständigkeit der Konkursgerichte aufrechterhalten hätten und somit eine Konzentration der Kompetenzen ausgeblieben sei. Frau Graf-Schlicker regte an, die Zugehörigkeit des Insolvenzrechts zum Wirtschaftsrecht stärker in der Gerichtsorganisation zu berücksichtigen und eine klare Trennung zwischen Verbraucher- und Unternehmensinsolvenzen bei der Zuständigkeit einzuführen. In diesem Zusammenhang schlug sie vor, über die Konzentrierung wirtschaftsrechtlicher Verfahren in einem besonderen Teilbereich der Zivilgerichtsbarkeit nachzudenken. Zudem wies sie auf die zunehmende Internationalisierung der Insolvenzverfahren hin, welcher nur mit einer Professionalisierung der Richterschaft begegnet werden könne, wenn man die Verfahren nicht der deutschen Gerichtsbarkeit entziehen wolle.

Prof. Dr. Andreas Konecny, Universität Wien, erläuterte in seinem Vortrag die Aufgaben der Insolvenzgerichte in Österreich. Das österreichische Insolvenzverfahren sei in höchstem Maße gerichtsdominiert, d.h. das Gericht entscheide alle wesentlichen Fragen selbst. Dadurch, dass in Österreich die Gerichtsverwaltung immer Bundessache sei, sei eine Anpassung der Zuständigkeiten und die Bildung von Spezialkammern weniger von regionalen Interessen geprägt als in Deutschland. Im Jahr 1982 sei eine Konzentration der Insolvenzverfahren durch die Einrichtung von Spezialabteilungen bei den Landesgerichten für Verfahren, welche zwingend vor den Insolvenzgerichten zu verhandeln seien, erfolgt. Bei Verbraucherinsolvenzen gebe es hingegen keine Spezialisierung. Diese seien weiterhin bei den Bezirksgerichten angesiedelt. Abschließend formulierte er die Bewertung, dass er eine Vorbildfunktion des österreichischen Modells für das deutsche Recht nicht sehe, zumal eine Übertragung des Modells bereits an verfassungsrechtlichen Hürden in Deutschland scheitern dürfte.

Den Schlusspunkt des Vortragsteils setzt Prof. Dr. Hanns Prütting, Universität zu Köln, mit einem Vortrag zum Thema „Großes Insolvenzgericht“ – Gerichtsverfassungsrechtliche und verfahrensrechtliche Anforderungen. Prütting erinnerte zunächst daran, dass in § 2 Abs. 1 InsO nur eine sachliche Zuständigkeit für die in der InsO geregelten Verfahren vorgeschrieben sei, es aber nach wie vor keine vis attractiva concursus gäbe, die dazu führen würde, andere Streitverfahren mit einem sachlichem Zusammenhang zum Insolvenzverfahren ebenfalls vor den Insolvenzgerichten zu verhandeln. In jüngerer Vergangenheit sei jedoch vermehrt für eine Ausweitung der Zuständigkeiten des Insolvenzgerichts plädiert worden. Ein wichtiger Schritt zur Schaffung großer Insolvenzgerichte sei die Einrichtung kombinierter Dezernate am Amtsgericht für Insolvenzsachen und insolvenznahe Zivilsachen, insbesondere Anfechtungssachen. Das AG Göttingen habe ein solches Modell bereits erfolgreich erprobt, was dazu geführt habe. Hier würden die insolvenznahen Streitigkeiten von den Richtern der Insolvenzabteilung bearbeitet werden, wodurch insolvenzrechtliche Spezialkenntnisse der einzelnen Richter besser genutzt werden könnten. Hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung eines großen Insolvenzgerichts sprach sich Prütting für die Ansiedlung bei den Amtsgerichten aus. Eine Verlegung der Rechtspflegerschaft sei dann nicht erforderlich. Zudem würde an die Expertise der Insolvenzgerichte bei der Bearbeitung der Insolvenzverfahren angeknüpft werden. Der fehlende Anwaltszwang könne mit einem gespaltenen Anwaltszwang ab einem Streitwert von mehr als 5.000 € gelöst werden. Eine Ausnahme solle jedoch für Verbraucherinsolvenzen und Restschuldbefreiungsverfahren bestehen. Die Schaffung einer eigenen Gerichtsbarkeit mit einem dreizügigen Instanzenzug sei nach einer Verfassungsänderung möglich und daher mit einem zu großen Aufwand verbunden.

In der anschließenden Podiumsdiskussion unter dem Titel „Gericht und Verwalter – Brauchen wir einen Systemwechsel?“ kamen Vertreter der Justiz, der Verwalterschaft, der Gläubiger und der Wissenschaft zu Wort. Dabei herrschte Einigkeit darüber, dass der Gesetzgeber das Thema der Verwalterliste angehen und für mehr Transparenz und Einheitlichkeit sorgen sollte. Insbesondere aus Gläubigersicht wurde vorgebracht, dass die bisher getroffenen Maßnahmen im Rahmen des ESUG ein Schritt in die richtige Richtung seien, die die Gläubiger aber häufig nicht rechtzeitig in die Entscheidungsprozesse einbezogen würden. Unisono wurde eine Zuständigkeitskonzentration der Insolvenzgerichte befürwortet und auf die Notwendigkeit einer hinreichenden Fortbildung der Richter und Rechtspfleger im Bereich der Rechnungslegung und der betriebswirtschaftlichen Grundlagen hingewiesen.


1BGH, Beschluss vom 17.03.2016 – IX AR (VZ) 2/15.
2

BVerfG, Beschluss vom 3.08.2004 – 1 BvR 135/00, 1 BvR 1086/01 = ZIP 2004, 1649;

BVerfG, Beschluss vom 23.05.2006 – 1 BvR 2530/04 = ZIP 2006, 1355.

 

 

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