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Sanierung und Wettbewerbsrecht

Sanierungsrechtler verfolgen das Ziel, Unternehmen in Krisensituationen möglichst zu erhalten und so vor allem Gläubiger und Arbeitsplätze zu schützen. Hierbei steht teilweise eine Fusion mit einem Konkurrenten als einzige Möglichkeit zur Abwendung der Insolvenz zur Wahl. Dahingegen strebt das Kartellrecht Marktstrukturen mit möglichst lebhaftem und wirksamem Wettbewerb an und nimmt hierfür bewusst in Kauf, dass unwirtschaftliche Unternehmen auch aus dem Markt ausscheiden.

Die sich aus diesem Spannungsfeld ergebenden Fragestellungen waren Thema der fünften Jahrestagung des Instituts für Insolvenz- und Sanierungsrecht (ISR) und der Düsseldorfer Vereinigung für Insolvenz- und Sanierungsrecht e.V., die diesmal in Kooperation mit dem Institut für Kartellrecht der Juristischen Fakultät stattfand.

Der Fall Lufthansa/AirBerlin

Zum Auftakt gaben Dr. Frank Kebekus, Dr. Peter Niggemann und Dr. Konrad Schott einen Rückblick auf ihre Erfahrungen im Fall der Insolvenz der AirBerlin und der teilweisen Übernahme durch die Lufthansa. Dr. Kebekus erläuterte die finanziellen Schwierigkeiten von AirBerlin in den Jahren vor Antragstellung und die Gründe für die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung. Die Luftverkehrsbranche sei gekennzeichnet durch strenge Regulierungen und Vorgaben der Behörden sowie hohe Ansprüche der Kunden an die Leistung der Luftfahrtunternehmen, wobei gleichzeitig auf Seiten der Airlines mit extrem geringen Margen, starken saisonalen Schwankungen (Sommer-/Winterflugplan) und enormen Liquiditätsanforderungen zu kämpfen sei.

Dr. Konrad Schott erklärte die Besonderheiten des Flugverkehrs und die Auswirkungen auf die Verwertbarkeit von Unternehmensanteilen in der Luftfahrtbranche. So seien die wertbildenden Assets bei einer Airline fragil. Flugzeuge kämen zur Verwertung idR. nicht in Frage, da diese häufig nur geleast würden. Eine wichtige Rolle für den Wert einer Airline spielen „Slots“. Slots seien als Verwaltungsakt ausgestaltete Berechtigungen, die Start- bzw. Landebahn eines Flughafens in einem bestimmten Zeitfenster zu nutzen. An einigen Flughäfen werden diese frei vergeben, an verkehrsintensiven Flughäfen sind diese aber als begrenzt verfügbare Rechte entsprechend wertbehaftet. Man könne diese nicht einzeln verkaufen, sondern lediglich mit dem Trägerunternehmen übergeben und innerhalb einer Konzernstruktur übertragen. Im Fall einer Neuvergabe freigewordener Slots bekämen die bereits stark am Flughafen vertretenen Airlines einen entsprechend größeren Anteil der neu auszugebenden Rechte zugesprochen. Für potenzielle Käufer wie die Lufthansa AG sei folglich der Vorteil einer Übernahme des Slots durch einen Kauf der AirBerlin im Vergleich zum Abwarten der Insolvenz eher gering gewesen, da auch im letzteren Fall mit einem Freiwerden der Slots und einer anschließenden Vergabe der Slots durch den Slot-Koordinator zu rechnen war. Weiterhin seien als Wertfaktor noch die Crews wichtig, zumal diese speziell auf die Einhaltung der Wartungspläne und Betriebshandbücher der von Ihnen geflogenen Maschinen ausgebildet würden und bei Übernahme von bestimmten Flugstrecken samt Flugzeugen nachzuschulen seien. Im Ergebnis sei eine Airline bei gebündeltem Verkauf um ein Vielfaches wertvoller als bei einer Veräußerung in Teilen.

Die Frage, aus welchem Grund das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung angestrebt wurde, erklärte Schott mit dem Erfordernis der Fortführung des Flugbetriebs, der - ähnlich zu den Fällen der Apothekerinsolvenzen - eine Betriebsgenehmigung des Luftfahrtbundesamtes voraussetze, welche beim Eintreten eines nicht im Flugverkehr sachkundigen Insolvenzverwalters erlöschen würde.

Peter Niggemann ging im Weiteren auf die kartellrechtliche Problematik der Asset Deals ein. Zunächst sei eine Übernahme von 35 Flugzeugen samt Personal und Wartung im Wege eines sogenannten „Wet-Lease“ Vertrages durch die Lufthansa eingeleitet und genehmigt worden. AirBerlin hätte so die Flugleistungen für Eurowings-Flüge übernommen. Im nächsten Schritt seien dann Übernahmen für die Organisationseinheiten der AirBerlin eigenen Strecken diskutiert worden. 

Die Kommission prüfe, inwieweit nach einem Zusammenschluss noch wirksamer Wettbewerb bestehe, wobei Faktoren wie die Marktstrukturen, finanzielle Kraft der Wettbewerber, Marktzutrittsschranken etc. berücksichtigt würden. Bezüglich der Ticketverkäufe stelle jede einzelne Strecke – mangels Austauschbarkeit mit Flügen zu beliebigen anderen Zielen –  einen eigenen Markt dar, den es einzeln zu beurteilen gelte. Dabei seien manche Strecken nur von zwei bis drei Anbietern besetzt, wodurch der Wettbewerb nach einer Übernahme durch einen Konkurrenten weiter eingeschränkt würde. 

Aufkommenden wettbewerblichen Bedenken der Kommission könne man mit Zusagen zu strukturellen Anpassungen (wie etwa der Ausgliederung eines Unternehmensteils im Gegenzug zur Übernahme eines anderen) oder zum künftigen Verhalten (wie etwa der Verpflichtung, einen Wettbewerber zu marktüblichen Konditionen zu beliefern) entgegnen. Reine Verhaltenszusagen würden von den Behörden jedoch aufgrund erschwerter Nachprüfbarkeit und Sanktionierungsmöglichkeiten kritisch betrachtet und selten angenommen werden.

Insgesamt gab die umfangreiche Fallstudie Einblick in einen komplexen Fall, der von vielen nicht zuletzt luftfahrtrechtlichen Besonderheiten geprägt war. Aus der Perspektive des Sanierungsrechts wies Dr. Kebekus abschließend auf ein erhebliches Spannungsverhältnis zwischen Sanierungsrecht und Wettbewerbsrecht hin.

Wettbewerbskontrolle in Sanierungsszenarien

Der Nachmittagsteil wurde durch Frau Silke Hossenfelder eröffnet, die in ihrem Vortrag aus der Sicht des Bundeskartellamts die Prüfungsgegenstände erläuterte und die Bedeutung des Wettbewerbsschutzes für die Gesamtwirtschaftsordnung hervorhob. 

So sei zwar das Ziel, ein insolventes Unternehmen nach Möglichkeit durch einen Verkauf an einen Konkurrenten zu retten und dadurch Arbeitsplätze zu erhalten, anzuerkennen und zu respektieren Demgegenüber betonte Hossenfelder jedoch, dass das Kartellrecht dem überaus wichtigen Schutz der gesamten Marktstrukturen diene und deshalb stringent angewandt werden müsse. Sie wies darauf hin, dass auf längere Sicht für alle Marktteilnehmer sowie für den Verbraucher die Ausbildung eines Monopols infolge des Unternehmenserwerbs aus der Insolvenz regelmäßig schädlicher sei als die Verdrängung eines unwirtschaftlich operierenden Wettbewerbers aus dem Markt. Jedenfalls müsse der Schutz der Gläubiger, Angestellten, etc. eines insolventen Unternehmens immer kritisch im Lichte der Auswirkungen auf den Erhalt wirksamen Wettbewerbs gesehen werden.

Hinsichtlich der Verfahrenspraxis verwies Frau Hossenfelder auf Bearbeitungszeiten von wenigen Tagen in unproblematischen Fällen. Liege ein wettbewerblich komplizierter Fall vor, sei eine frühzeitige Kontaktaufnahme mit dem Bundeskartellamt, auch vor Vertragsschluss, angeraten. Seitens der Unternehmen vorgeschlagene Strukturzusagen könnten geeignet sein, um wettbewerbsrechtliche Bedenken seitens der Behörde aus dem Weg zu räumen. 

Insolvenzverhinderung durch Ministererlaubnis?

Im zweiten Vortrag stellte Dr. Matthias Karl vor dem Hintergrund der Edeka/Tengelmann-Übernahme das in Europa einzigartige Konstrukt der Ministererlaubnis im Kartellrecht vor.

Die in § 42 GWB kodifizierte Ministererlaubnis sei eine Möglichkeit, die an klare Vorgaben gebundenen Untersagungsentscheidungen des Bundeskartellamtes im Wege einer Ermessensentscheidung aufzuheben, ein nach Ansicht von Karl viel zu selten genutzter Weg zur Erlaubnis von Fusionen in Sanierungsszenarien. Die Ministererlaubnis entferne sich zwar deutlich vom ordoliberalen Ansatz, des GWB, sei aber immerhin geltendes Recht und solle daher auch genutzt werden. 

Qua Ministererlaubnis könnten Fälle gelöst werden, in denen zwar objektiv wettbewerbliche Bedenken bestünden, ein überragendes Interesse der Allgemeinheit diese aber überwögen. Die Ministererlaubnis sei bisher in 22 Verfahren angewandt worden, wobei nur drei Erlaubnisse erteilt wurden. Die zögerliche Anwendung liege zum einen an der hohen politischen Verantwortung des Ministers im Grenzbereich zwischen Marktschutz und gegenüberstehendem Allgemeininteresse, zum anderen an der bestehenden Unsicherheit aufgrund mangelnder Erfahrungswerte.

Die erforderlichen überragenden Allgemeinwohlinteressen seien nicht abschließend bestimmt. Im Fall „Edeka/Tengelmann“ seien erstmals die Gesichtspunkte der Sicherung von Arbeitnehmerrechten und der Aufrechterhaltung von Tarifverträgen in die Abwägung eingeflossen. In der Vergangenheit seien etwa schon Pressevielfalt, Umweltschutz, Gesundheitsfürsorge und – vor dem Hintergrund der besonderen politischen Brisanz – der Erhalt von Arbeitsplätzen als Allgemeininteressen angeführt worden. Die Monopolkommission erwarte konkrete Nachweise für die dargelegten negativen Effekte im Falle einer Untersagung. Diese Beweisführung sei in der Praxis zumeist mit besonderen Schwierigkeiten verbunden. 

Zum Schluss wies Karl auf eine wichtige verfahrensrechtliche Änderung nach dem „Edeka/Tengelmann“-Verfahren hin. Während § 63 I GWB a.F. noch allen Beteiligten des Verfahrens die Beschwerdemöglichkeit gegen eine Ministererlaubnis eröffnet habe, so dass in diesem Verfahren die Konkurrenten Rewe und Markant Beschwerdeverfahren führen konnten, hätte der Gesetzgeber nunmehr eine weitgehend unbemerkt gebliebene Änderung des § 63 I GWB vorgenommen. Nunmehr müsste ein Beschwerdeführer im Rahmen der Beschwerdebefugnis seine Betroffenheit in eigenen Rechten darlegen, so dass rein praktisch gesehen seltener damit zu rechnen sei, dass Wettbewerbern im Verfahren der Ministererlaubnis dazwischentreten könnten. Ausgesprochen launig formulierte Karl sein Fazit, dass dieser Umstand die Ministererlaubnis für die Fusionierenden deutlich attraktiver mache. 

In der abschließenden Bewertung befürwortete Karl die klare Trennung der wettbewerbsrechtlichen Prüfung im Verfahren der Fusionskontrolle und dem Verfahren der Ministererlaubnis. Fusionsentscheidungen, so Karl, sollen grundsätzlich nicht politisch getroffen werden. In kritischen Sanierungsszenarien sei die Ministererlaubnis jedoch ein Mittel, das häufiger genutzt werden könne.

Fazit

In der abschließenden Podiumsdiskussion debattierten die Vortragenden des Tages, in welchem Umfang Sanierungshilfen legitim seien oder ob eine Außerkraftsetzung der Marktprinzipien drohe.

Diskussionsleiter Prof. Dr. Hans Jürgen Meyer-Lindemann stellte abschließend fest: Ein Konfliktbereich zwischen Sanierungsrecht und Kartellrecht, mit dem es sich auseinanderzusetzen, sei nicht von der Hand zu weisen. Aus der Perspektive des Kartellrechtlers konnte er jedoch keinen dringenden strukturellen Anpassungsbedarf an der Schnittstelle der Rechtsgebiete erkennen. 

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